Eiszeitreliktpflanzen in der Sächsischen Schweiz

Dr. Volker Beer

Durch die Eiszeiten verschwand die tertiäre Vegetation. Als sich das Eis zurückzog war das Gebiet zunächst vegetationslos. Zuerst wanderten Gräser und Kräuter ein. Es bildete sich eine subarktische, waldlose Tundrenvegetation aus. Später folgten Birken und Kiefern. Diese Zeit liegt etwa 10000 Jahre zurück und wird Birken-Kiefern-Zeit genannt. Das Klima erwärmte sich weiter und es konnten sich wärmeliebendere Arten ansiedeln. Zunächst folgte vor etwa 8000 Jahren die Haselnuß. Diese Zeit wird als Kiefer-Hasel-Zeit bezeichnet. Vor etwa 7000 Jahren folgten weitere Arten und man spricht von der Kiefer-Hasel-Eichenmischwald-Zeit. Vor etwa 5000 Jahren nahm die Gehölzvielfalt weiter zu. Es gediehen Eichen, Ulmen, Linden und Eschen. In den Berglagen trat die Fichte auf. Vor etwa 3500 Jahren näherten sich die Klimabedingungen mehr und mehr dem heutigen Klima an. Man spricht von einer Eichenmischwald-Erlen-Zeit, der eine Eichen-Buchen-Übergangszeit folgte. Vor etwa 2000 Jahren begann die Buchenzeit, die noch heute andauert. Seit etwa 200 Jahren greift der Mensch durch die verschiedensten Nutzungen, die Industrialisierung, Urbanisierung und die forstliche Nutzung massiv in die Naturausstattung ein. Die Fichte wurde neben der Kiefer durch den gezielten forstwirtschaftlichen Anbau zur Hauptbaumart.

Eiszeitreliktpflanzen sind Arten, die alle Klimaänderungen seit dem Rückgang des Eises an geschützten Orten überdauerten und heute als Inselvorkommen außerhalb ihres jetzigen Verbreitungsgebietes bei uns anzutreffen sind. Es wird zwischen Glazialreliktpflanzen, die sich seit Zeiten unmittelbar nach der Eiszeit hier behaupten konnten und Postglazialrelikten, die sich seit den verschiedenen nacheiszeitlichen Wiederbewaldungsepochen in Rückzugsgebieten halten konnten.
 

Charakterisierung der Glazialrelikte, Relikte postglazialer Wiederbewaldungszeit sowie im Riff- und Gipfelbereich typischer Arten der Krautschicht (höhere Pflanzenarten)


Die Charakterisierung erfolgt anhand dieser Quellen: HEGI (1927), OBERDORFER (1990) und ROTHMALER (1991). Die ökologischen Zeigerwerte wurden nach ELLENBERG et al. (1992) ermittelt.
 

Ordnung: Ericales (Heidekraurartige)

Gehölze, Kräuter, Blatt ungeteilt, Blütenteile in 5 Kreisen, diese 4- oder 5 gliedrig. Kronenblätter meist verwachsen.
 

Familie: Ericaceae (Heidekrautgewächse)
Sträucher, oft Zwergsträucher, Bäume. Blätter ungeteilt, meist immergrün, wechsel-, gegen- oder quirlständig. Blüte zwittrig, radiär oder schwach dorsiventral, 4 bis 7 zählig, Kronenblätter verwachsen, selten frei. Meist kalkmeidend.
 

Calluna vulgaris L. Hull (Heidekraut)
Blätter linealisch - lanzettlich, 1 bis 4 mm lang. Blüte in einseitwendigen Trauben. Kelch und Krone rotlila. Ausdauerndes Holzgewäch von 30 cm bis 1,0 m Höhe. Blüte August bis Oktober. Die Sträucher erreichen ein Alter von 12 bis 42 Jahren. Rohhumusbildner und -wurzler, frostempfindlich, humide Klimalage, windhart, bis 50 cm tief wurzelnde Pionierpflanze, Insektenbestäubung (Bienenweide), Windverbreitung.
Ökologie: Vorkommen auf Heiden, Magerrasen, Felsen, Mooren sowie in Kiefern- und Eichenwäldern. Besiedelt mäßig trockene bis feuchte, nährstoff- und basenarme saure Standorte. Auf humosen, sandigen oder steinigen Lehmböden oder auf Torf anzutreffen. Kalkmeidend. Häufig auf Mooren, in lichten trockenen Wäldern, auf mageren, nährstoffarmen Böden geringen Kalkgehaltes.
Verbreitung: Kosmopolit, von den tiefen Lagen bis über die Baumgrenze der Gebirge. In ganz Mitteleuropa verbreitet und häufig.
Arealformel: m-b (oz) EUR-(WSIB)
L 8, T *, K 3, F *, R 1, N 1, Lf Z
 

Ledum palustre L. (Sumpf-Porst)
Blätter linealisch - lanzettlich, 4 bis 12 mal so lang wie breit. Blüten doldig, weiß und 10 Staubblätter enthaltend. Pflanze stark duftend. Ausdauerndes Holzgewächs von 60 cm bis 1,50 m Höhe. Blüte Mai bis Juli. Rohhumuswurzler, Halbschattenpflanze, giftig. Die Sträucher können ein Alter von 30 Jahren erreichen und sind halbschattenliebend.
Ökologie: Vorkommen in Moorgebüschen, Moorwäldern und feuchten Kiefernwäldern. Besiedelt nasse, nährstoff- und basenarme Torfböden. Kalkmeidend. Selten, geschützt.
Verbreitung: Im Nordosten Deutschlands zerstreut, sonst selten, im Westen bis zur Unterelbe und Mittelweser sowie in Sachsen-Anhalt, Nordschwarzwald, Bayerischer Wald, Waldau und Vehnemoor. In Sachsen ist Ledum palustre in der nördlichen Lausitz, der Dresdner Heide, im Erzgebirge bei Schneeberg, Johann-Georgenstadt, Satzung und Marienberg verbreitet. Im Elbsandsteingebirge ist Ledum palustre besonders östlich der Elbe verbreitet. Ledum palustre wächst hier meist an den Gesimsen steiler Felsen mit Moosen und Calluna vulgaris.
Ostboreales Florenelement, als pflanzengeographische Besonderheit nur im Bereich des Sandsteins in der Sächsischen Schweiz vorkommend. Relikt postglazialer Birken-Kiefern-Zeit.
Rote Liste Sachsen: Gefährdet (IfLN 1991)
Arealformel: temp-arct (k) CIRCPOL
L 6, T 5, K 7, F 9, R 2, N 2, Lf Z
 
 

Unterfamilie: Vaccinioideae (Heidelbeere, Preiselbeere)

Laubabwerfende oder immergrüne Sträucher und Halbsträucher mit wechselständigen Blättern, Blüten meist in Trauben, Kronenblätter glockig oder krugförmig, 8 bis 10 Staubblätter, aus dem untersten Fruchtknoten geht eine saftige oder mehlige Beere hervor, gekrönt von einem bleibenden Kelch.
 

Vaccinium myrtillus L. (Heidelbeere, Blaubeere)
Zweige scharfkantig und grün, Blätter eiförmig, spitz, fein gesägt, hellgrün, sommergrün, Blütenblätter weißlichgrün, rötlich überlaufen, Beere blauschwarz mit rotem Saft, Pflanze 15 bis 50 cm hoch. Die Sträucher können ein Alter von 30 Jahren erreichen.
Ökologie: Nadelwald, bodensaure Laubwälder, Gebüsche, Heiden, kalkmeidend. Verbreitet und gesellig in artenarmen Laub- und Nadelwäldern, besonders in Gebirgs-Fichtenwäldern, ferner in Moor- und Bergheiden, auf frischen (mäßig frischen), nährstoff- und basenarmen, lockeren, sauren, humosen, gern sandig - steinigen und mittelgründigen Lehmböden in humider Klimalage, im Gebirge in Schneelagen, bis 1 m tief wurzelnd, Wurzelkriecher, Rohhumuszehrer, Halbschattenpflanze, spätfrostempfindlich, Insekten- und Selbstbestäuber, Vogelverbreitung. Auf etwas schattigeren oder regenreicheren, über Winter schneebedeckten Flanken der Gebirge verbreitet. Vaccinium myrtillus ist frostempfindlich und benötigt insbesondere oberhalb der Waldgrenze den winterlichen Schneeschutz. Ohne diesen frieren die Zweige zurück.
Verbreitung: Kosmopolit, von den tiefen Lagen bis über die Baumgrenze der Gebirge.
Arealformel: sm/mo-b (suboz) EUR-SIB
L 5, T *, K 5, F *, R 2, N 3, Lf Z
 

Vaccinium vitis-idaea L. (Preiselbeere)
Blätter unterseits mit eingedrückten bräunlichen Punkten (Lupe), matt hellgrün, Blattrand etwas umgerollt, ganzrandig oder schwach gekerbt, immergrün, ledrig glänzend; Blüten weiß oder rötlich in endständigen, dichten, hängenden Trauben, Staubbeutel unbegrannt, Kronblätter vierspaltig, Beere rot, Pflanze 5 bis 15 cm hoch.
Ökologie: Nadelwald, bodensaure Laubwälder, Gebüsche, Heiden, kalkmeidend. Ziemlich häufig und gesellig in Kiefern- und Fichtenwäldern, in Bergheiden, Mooren, im alpinen Zwergstrauch-Gestrüpp, selten in Eichenwäldern. Besiedelt frische bis mäßig trockene (wechselfrische), nährstoff- und basenarme, saure, humose, vorzugsweise sandige, auch steinige Lehmböden. Bis 1 m tief wurzelnde Rohhumuspflanze mit Kriechtrieben, Halbschattenpflanze, Insektenbestäubung, Vogelverbreitung.
Verbreitung: Kosmopolit, von den tiefen Lagen bis über die Baumgrenze der Gebirge.
Arealformel: sm/mo-arct (subk) CIRCPOL
L 5, T *, K 5, F 4, R 2, N 1, Lf Z
 
 

Familie: Empetraceae (Krähenbeerengewächse)

Zwergsträucher, Blätter unterseits tief gefurcht, linealisch; Blüten zwittrig oder eingeschlechtig; Kronernblätter nicht verwachsen, nur ein Staubblattkreis (bei Clethraceae und Ericaceae zwei Staubblattkreise), Staubblattbeutel öffnen sich durch Längsspalten (bei Clethraceae und Ericaceae durch apikale Poren), Frucht. Eine beerenartige mehrkernige Steinfrucht. In Betracht kommt nur eine Gattung mit etwa sechs Arten in kälteren Gebieten der Nord- und Südhemisphäre.
Empetrum L. (Krähenbeere)
Von Erica - ähnlichem Aussehen, Blätter wechselständig, oft scheinwirtelig, nadelartig, 4 bis 6mm lang, nach unten umgerollt, so daß unterseits mit tiefer Längsfurche; Blüten unscheinbar, einzeln, an den Zweigenden gehäuft, Blütenblätter blaßrot bis purpurn, Steinfrucht mit 6 bis 9 Steinen.
 

Empetrum nigrum L. (Gemeine (Schwarze) Krähenbeere)
Pflanze zweihäusig, Blüten getrenntgeschlechtig, Blütenknospen meist rot, am Grunde der Frucht nie Staubblattreste da zweihäusig; Jungtriebe rötlich, ältere rotbraun, niederliegende Zweige bis 120 cm lang, sich bewurzelnd, Blätter 3 bis 5 mal so lang wie breit, parallelrandig, unterseits mit sehr schmaler weißer Rinne; Pflanze 15 bis 45 cm hoch. Die Sträucher können ein Alter von 50 bis 70 Jahren erreichen.
Ökologie: Küstennahe und hochmontane - subalpine Heiden, Moore, Nadelwälder, kalkmeidend. Besiedelt frische bis feuchte, nährstoff- und basenarme, saure, humose, Stein- Sand- oder Torfböden in humider Klimalage. Rohhumusbildner und -wurzler, bis 50 cm tief wurzelnd, Wurzelkriecher, Licht bis Halbschattenpflanze, Insekten- und Windbestäubung, Vogelverbreitung. Empetrum nigrum benötigt während der ganzen Vegetationsperiode eine ziemlich hohe Luftfeuchtigkeit.
Westboreales Florenelement, in der Sächsischen Schweiz wächst sie nur an den Nordkanten der Felsriffe. Relikt postglazialer Tundrenzeit. Nahezu alle Fundorte wurden als gefährdet oder stark gefährdet eingestuft. Als Schadursachen werden Frostschäden, Verdrängung durch andere Arten, insbesondere durch Pteridium aquilinum, Calamagrostis arundinacea, C. villosa und Deschampsia flexuosa, saure Depositionen, Abtragung (Erosion) und Trittschäden angeführt.
Empetrum nigrum tritt häufig vergesellschaftet mit aufgelockerten Beständen von Ledum palustre, Calluna vulgaris, Vaccinium myrtillus, Vaccinium vitis-idaea sowie Anflug von Betula und Pinus auf. An exponierten, vom Wind schneefrei gehaltenen Plätzen erleidet Empetrum nigrum häufig Schäden infolge Frosteinwirkung.
Verbreitung: Durch AUGST (1990) wurden 102 Fundorte in der Sächsischen Schweiz aufgelistet, jedoch sind keine Angaben zur Lage der Fundorte angegeben.
Arealformel: sm/mo-b (oz) CIRCPOL
L 7, T *, K 3, F 6, R *, N 2, Lf Z
 
 

Ordnung: Liliales (Lilienartige)

Kräuter, selten Bäume. Blüten zwittrig, frei- oder verwachsenblättrig, radiär, meist mit 6 kronartigen Perigonblättern in 2 Kreisen. Staubblätter in fast stets 2 Kreisen, Pollenkörner einzeln. Fruchtknoten ober- oder unterständig, fleischig, ölhaltig, stärkefrei.
 
 

Familie: Liliaceae (Liliengewächse)

Stauden mit Zwiebel, Knolle oder Rhizom, selten Gehölze. Blüten radiär mit 6, selten 4 kronblattartigen Perigonblättern. Meist 6 Staubblättern und 1 oder 3 Griffeln. Fruchtknoten oberständig, meist 3fächrig. Kapseln, Beeren.
 

Streptopus amplexifolius L. DC. (Stengelumfassender Knotenfuß)
Wurzelstock schief, knotig. Blätter stengelumfassend. Blüten weißlich, Beere zinnoberrot. Pflanze 30 cm bis 1,0 m hoch. Ausdauernde Staude, die im Juni und Juli blüht.
Ökologie: Vorkommen in staudenreichen Nadelmisch- und Fichtenwäldern, im Grünerlenbusch und in Hochstaudengebüschen. Besiedelt frische, +/- nährstoff- und basenreiche, meist kalkarme, mäßig saure, humose, lockere Stein- und Lehmböden. Mull- und Moderpflanze, Halbschattenpflanze, anspruchsvoll, selten. Hochmontane Art, die nur an wenigen feucht-kühlen Standorten in der hinteren Sächsischen Schweiz gedeiht.
Verbreitung: Ein Verbreitungsgebiet umfaßt Amerika und Ostasien, dort z. Bsp. in den Ostanden. Ein zweites Verbreitungsgebiet liegt in Europa. In Deutschland in den Alpen, Voralpen dem Bayerischen Wald, und dem Schwarzwald. Die nächsten Vorkommen sind neben dem in der Sächsischen Schweiz im Zechgrund bei Oberwiesental im Erzgebirge anzutreffen.
Rote Liste Sachsen: Stark gefährdet (IfLN 1991)
Arealformel: m/mo-b (oz) AM-OAS + sm/mo-temp/mo suboz EUR
L 5, T 3, K 4, F 5, R 6, N 6, Lf G
 
 

Ordnung: Violales (Veilchenartige)

Gehölze, Kräuter. Blüte mit Kelch und freiblättriger Krone, radial oder dorsiventral. Blütenachse konvex bis röhrig. Blütenteile in Kreisen.
 
 

Familie: Violaceae (Veilchengewächse)

Kräuter, Sträucher, Bäume. Blätter wechselständig mit Nebenblättern. Kelchblätter bei viola mit Anhängsel. Blüte mit 2 Vorblättern, fünfzählig, dorsiventral mit Sporn oder radiär. 5 Staubblätter, 1 Griffel, dieser oft s - förmig gebogen, Kapsel 3-klappig. Zahlreiche Samen mit Ölkörper.
 

Viola biflora L. (Zweiblütiges Veilchen)
Blattspreiten breiter als lang, nierenförmig, Nebenblätter meist ganzrandig. Krone gelb, bräunlich gestreift. Pflanze 8 bis 15 cm hoch, ausdauernde Staude. Blüte Mai bis August.
Ökologie: Vorkommen in subalpinen Hochstaudenfluren, sickerfeuchter Steinschutt, Alpen und oberes Alpenvorland verbreitet, sonst selten. Ziemlich häufig in staudenreichen Bergwäldern oder Grauerlen - Auen der subalpinen Stufe, im Hochstaudengebüsch und in Hochstaudenfloren, im Steinschutt, auf sickerfrischen und -feuchten nährstoff- und basenreichen, meist kalkhaltigen, mild-neutralen, humosen Lehm- oder Steinschuttböden in luftfeuchter Lage. Mullbodenwurzler und -kriecher, Schattenpflanze, meist Insektenbestäubung, Verdauungs- und Ameisenverbreitung. Die Keimung erfolgt fast ausschließlich nach Einwirkung mäßiger Kältegrade. Temperaturen unter –12 °C werden nur schlecht vertragen, weshalb die Pflanze nur an im Winter schneebedeckten Standorten wächst. Echtes Eiszeitrelikt, in der Sächsischen Schweiz gibt es in schattigen Schluchten und an der Kirnitzsch ca. 9 Vorkommen.
Verbreitung: In Deutschland in den Alpen und dem oberen Alpenvorland oberhalb etwa 1400 m NN. In Thüringen bei Eisenach und Geuernitz. Seine nächsten Vorkommen sind gegenwärtig in der subalpinen Stufe der Sudeten und des Riesengebirges anzutreffen. In der Sächsischen Schweiz gedeiht es in den kühl - feuchten Schluchten auf etwa 180 bis 220 m NN.
Rote Liste Sachsen: Potentiell gefährdet (IfLN 1991)
Arealformel: m/salp-arct suboz EURAS + (WAM)
L 4, T 3, K 4, F 6, R 7, N 6, Lf H


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